Entzug des Wahlrechts von Unionsbürgern - Die Lage in den Mitgliedstaaten der EU bei nationalen Wahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament

Eingehende Analyse 10-12-2014

Die Ausübung des Wahlrechts ist ein grundlegendes Recht, das sich in der Verfassungstradition aller Mitgliedstaaten findet und in den EU-Verträgen als untrennbar verbunden mit dem Recht auf politische Teilhabe anerkannt wird, das wiederum all jenen Stellen, die staatliche Macht ausüben, demokratische Legitimität verleiht. Allerdings handelt es sich um kein absolutes Recht, sondern um eines, das Einschränkungen unterliegt. Die Entscheidung darüber, wer an nationalen Wahlen sowie an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen darf, treffen die Staaten. Sechs Mitgliedstaaten der EU enthalten ihren Staatsangehörigen im Falle des Wohnsitzes im Ausland – sowohl in anderen Mitgliedstaaten als auch in Drittländern – unter unterschiedlichen Bedingungen das Recht auf Teilnahme an den nationalen Parlamentswahlen vor. Diese sechs Mitgliedstaaten entziehen ihren Staatsangehörigen auch das Recht auf Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament, wenn sie dauerhaft in einem Drittland ansässig sind, und in zwei dieser Mitgliedstaaten gelten entsprechende Regelungen auch für Staatsangehörige mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU. „Wahlrechtsentzug“ wegen des Wohnsitzes im Ausland kann auf bestimmte Mindestwohnsitzanforderungen in dem Land, in dem die Wahlen stattfinden, zurückzuführen sein, aber auch auf den Verlust des Wahlrechts aufgrund von im Ausland verbrachter Zeit. So sehr fehlende Möglichkeiten, das Wahlrecht vom Ausland aus wahrzunehmen, erschweren, so sind sie an sich noch nicht gleichbedeutend mit dem Entzug des Wahlrechts. Wahlrechtsentzug beruht auf der Annahme, dass im Ausland lebende Bürger von den politischen Entscheidungen im Land ihrer Staatsangehörigkeit nicht betroffen sind und sie aufgrund der Unvertrautheit mit den politischen Gegebenheiten dort nicht sinnvoll abstimmen können. Globalisierung und bessere Kommunikationsmittel haben jedoch zu einer Entwicklung geführt, die eher in Richtung der politischen Mitwirkung von im Ausland ansässigen Bürgern weist. Bürger, denen das Recht der Teilnahme an nationalen Wahlen im Land ihrer Staatsangehörigkeit entzogen wurde, sind häufig vom politischen Leben auf nationaler Ebene sowohl des Wohnsitzstaates als auch des Herkunftslandes ausgeschlossen, da die Mitgliedstaaten der EU (und Drittländer erst recht) fremden Staatsangehörigen im Allgemeinen das Recht auf Teilnahme an nationalen Wahlen versagen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah eine Verletzung der sich aus der Konvention ergebenden Rechte durch Wahlrechtsentzugsvorschriften als nicht gegeben an, doch könne der Entzug des Wahlrechts für Bürger, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, als Verstoß gegen die Freizügigkeit gemäß EU-Recht gewertet werden, da er Unionsbürger von der Ausübung des Freizügigkeitsrechts abhalten könne. Unterschiedliche Lösungen sind ins Gespräch gebracht worden. Zu den Maßnahmen auf EU-Ebene zählen mögliche Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, die ihren in anderen Mitgliedstaaten der EU ansässigen Staatsangehörigen das Wahlrecht entziehen, sowie eine Änderung des Vertrags in einer solchen Art und Weise, dass Unionsbürgern das Recht auf Stimmabgabe im Aufnahmemitgliedstaat oder das Recht auf Teilnahme an den nationalen Wahlen entweder im Mitgliedstaat ihrer Staatsangehörigkeit oder im Aufnahmemitgliedstaat eingeräumt wird. Ein weiterer, für die nähere Zukunft sicherlich realistischerer Vorschlag bezieht sich darauf, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, ihren in einem anderen Mitgliedstaat der EU lebenden Staatsangehörigen die politische Mitwirkung zu ermöglichen oder zumindest die Voraussetzungen für die Erhaltung des Wahlrechts für diesen Personenkreis zu verbessern.